songs about roving, rambling and plain hard luck & photography from the other side …

Unmade Beds

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UNMADE BEDS … AND THE IMAGINATION IS ON FIRE

Fotografien von Florian Fritsch in der ZustandsZone, Hamburg 3.4.–2.5 2015

Jeder kennt es, die meisten mögen es und keiner will es missen – das Bett. Zum Ruhen bei Tag und Nacht entworfen, stellt es, ob Daheim oder in der Fremde, den Individualraum par excellence (Georges Perec) dar, in den sich der menschliche Körper wie in ein Futteral einpasst. Als alltägliche Bühne des Schlafs, als Schauplatz von Geburt, Liebe, Krankheit und Tod, wird das Bett im Laufe eines Lebens für den Menschen zum vertrautesten Ort intimer Erfahrungen und existentieller Ausdrucksformen. Rein pragmatisch gesehen besteht das Möbelstück aus einem rechteckigen Gestell mit einer horizontal darauf liegenden Matratze samt Bettzeug und dient einem vorgegebenen Zweck. Zugleich avanciert es aber durch den differenzierten Gebrauch des Menschen zwischen Regeneration und Regression zu einem Mobiliar, das am meisten von Geheimnissen und Ängsten, von Sehnsüchten und Ausschweifungen, von Träumen und Fantasien umstellt ist: Ein Bett sieht, wie wir geboren werden und wie wir sterben; es ist die Bühne, auf der das Menschengeschlecht abwechselnd interessante Dramen, lächerliche Possen und entsetzliche Tragödien aufführt. – Es ist eine mit Blumen geschmückte Wiege; – es ist der Thron der Liebe; – es ist ein Grab. (Xavier de Maistre)

Leer und bis auf eine Ausnahme ungemacht sind die Einzel- und Doppel-Betten, die wir auf den Fotos von Florian Fritsch sehen. Sie wurden allesamt im kontraststarken Schwarzweiß aufgenommen, das die grafischen Linien- und Flächenwerte betont. Frontal oder diagonal und meist im künstlichen Licht von Lampen ins Bild gesetzt, liegt der Fokus mal auf der Gesamtheit der Kissen und Laken, mal auf einem anekdotischen Utensil in einer ansonsten ins Unscharfe gebrachten Umgebung. Nah- oder Detailansichten der Liegestätten wechseln sich ab, selten ist der Augenpunkt auf der Höhe des Bett-Horizonts, eher wurden leicht erhöhte Standpunkte gewählt, die Distanz halten zum zentralen Motiv oder dasselbe aus der Vogelperspektive wie eine gebirgige Deckenlandschaft erscheinen lassen. Die künstliche Beleuchtung schafft markante Schatten und modelliert die plastischen Formen der faltenreichen Stoffmassen mit einer ins Unheimliche reichenden Finesse. Die Zimmer kommen nicht als Ganzes in den Blick, doch lassen die Ausschnitte auf einigen Bildern erkennen, dass es sich nicht um die eigenen vier Wände handelt. Der Fotograf ist viel unterwegs und nächtigt in Hotelzimmern, deren Betten er – vor oder nach ihrem Gebrauch – mit der gleichen dokumentarischen Genauigkeit aufnimmt wie die eigenen oder diejenigen, die er als Gast bei Freunden beschläft. Während bei den eigenen Betten schon mal markante Details wie ein Banjo, Kleidungsstücke oder Schallplatten in den Fokus rücken, zeigen die Aufnahmen von Hotelbetten die sachlich-kühle Anonymität und Akkuratesse dieser Orte, die von keinem persönlichen Gegenstand belebt sind.

Den motivischen Schwerpunkt bilden das Bett und das Zeug, das dem Schläfer jene uterinale Behaglichkeit verschafft, die ihn immer wieder diese Ruhestätte aufsuchen lässt. Auf den Fotos von Florian Fritsch halten sich aber keine Menschen in diesen Betten auf, alle haben sie die zerknitterte Bühne der Laken und die hüllende Wärme der Decken verlassen. Wenn sie auch selbst nicht zu sehen sind, so sind sie doch präsent. Gerade darin liegen Reiz und Herausforderung dieser Fotografien, die eine eigentümliche Spannung erzeugen durch das, was sie nicht zeigen: Die Leere regt die Sinne und die Sinnlichkeit des Betrachters an, die Unordnung des Bettes setzt Fantasiebilder frei, in denen zu all den Abdrücken, Faltungen der Laken und den Erhebungen und Vertiefungen des Bettzeugs die Menschen und ihre Körper hinzutreten, die sich dort im Rhythmus des Schlafs, der Liebe, des Traums oder des Schmerzes bewegten und dabei diese deutungsoffenen Spuren hinterließen. Ein subtiles Wechselverhältnis zwischen Ab- und Anwesenheit wird mit einem zutiefst subjektiven Raum verbunden, den jeder Mensch mit starken und grundlegenden Affekten erlebt und bewohnt.

Kissen, Laken und Decken leisten passiven Widerstand. Sie geben nach und verweigern die feste, endgültige Form. Als plastische Gebilde, die in ihrer Fläche wie in ihrem Volumen elastisch und verformbar sind, erfahren sie bei jedem Druck eine Veränderung. Sie verwandeln sich unter wechselnden Bewegungen, wodurch sie der deutenden Projektion des Betrachters immer neue Anlässe liefern, in ihren zufälligen Bildungen etwas anderes zu sehen. Dieser nächtliche Prozess zwischen Formfindung und Formauflösung bliebe unsichtbar, würde er durch die Fotografie nicht stillgestellt und reproduziert. Das Foto am Morgen danach hält den Fluss der (körperlich-seelischen) Bewegungen an, welche die Faltungen und Abdrücke bezeugen. Es überliefert das Geschehen einer Nacht in einem visuellen Dokument, in dem das Motiv durch die eingenommene Perspektive und die inszenatorische Lichtführung eine suggestive Wirkung entfaltet: Allein die stumme Beredtheit der leeren und zerwühlten Betten genügt, um uns flüchtige wie auch basale Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen.

Es ist ein Spiel mit der Imagination, bei dem einer der gewöhnlichsten und zugleich intimsten Orte eine mysteriöse Atmosphäre entwickeln kann – denn die Nacht ist voller Gefahren, der Schlaf ähnelt dem Tod, das Bett einem Sarg. (Pascal Dibie) Je länger man hinschaut auf diese schlichten und zugleich anspielungsreichen Kompositionen, umso geheimnisvoller muten die zerwühlten Decken an. Und dann, plötzlich, sieht man sie, die Körper und ihre Passion, aber auch die Gespenster und Dämonen, die Fratzen und Gesichter, die uns im Dunkeln heimsuchen können. Sie sind immer noch da, haben sich verkrochen in den Vertiefungen des Bettzeugs, in den geknickten Kissen, den abstrakt-linearen Falten der Laken. Ein alltägliches Motiv, in ein effektvolles Hell-Dunkel getaucht und reduziert auf Schwarz und Weiß – und schon geht sie los, die Gedankenreise, unterstützt durch all das, was uns innerlich befeuert und bedrängt, manchmal erlöst oder endgültig vernichtet. In den heftig zerfurchten und aufgetürmten Laken, die in den kalkuliert eingesetzten Lichtspots manchmal wie schneeweiße Gebirgszüge anmuten, verbergen sich ungeschriebene Bett-Geschichten, denen immer neue Varianten hinzugefügt werden.

Jede Nacht ein Federkino, dem Florian Fritsch auch noch einen passenden Soundtrack verliehen hat, den wir hören, während wir seine Fotos betrachten. Es ist ein gekonnter Mix, bei dem der Country-Song neben der Blues-Ballade und dem Jazz-Stück, der heulende Bottleneck-Gitarrensound neben sanften Streichertönen und wilden Trompetenphrasen erklingt. Was dieses Crossover der Musik- und Klangstile eint, ist das, wovon die Liedtexte handeln: vom Fahren auf den Straßen und vom Ankommen in Hotels, von der Einsamkeit der Zimmer und der Unruhe des Schlafs oder der wilden Lust gemeinsam verbrachter Nächte, von den unerfüllten Sehnsüchten, den dunklen Begierden und der befriedenden Zweisamkeit. Es sind Lieder, die den Fotografen die letzten zehn Jahre auf seinen diversen Reisen gleichsam als akustische Futterale begleiteten und die dabei für ihn zum musikalischen Synonym des Unterwegsseins wurden. Ankommen, Weggehen, und immer das nächtliche Ruhen in Betten und der Versuch, das in Fotos festzuhalten, was in ihnen passierte, während der Schläfer sich selbst vergaß. Die Fotos und der Soundtrack kreieren zusammen Spiel-Räume für die Fantasie des Betrachters, dem angesichts der vielen Liegestätten Nichtiges und Wichtiges, aber vor allem die natürlichste Sache der Welt in den Sinn kommen wird: Natürlich gibt es Wollust / Natürlich gibt’s Begehren / Das wär ja noch schöner / Wenn auch die zwei nicht wären / Wir wären ja verloren / Wenn uns die zwei nicht hätten / Und schwiegen ungeboren / In ungemachten Betten. (Robert Gernhardt)

Die ZustandsZone mit ihren strahlend weißen Wänden und dem einladend weiten Schaufenster ist der perfekte Rahmen für diesen Bilder-Reigen, vor allem aufgrund ihrer Disposition im Stadtraum. Aus dem allen zugänglichen Bereich der Straße und des Verkehrs kommend, bietet diese Zone dem Betrachter die Möglichkeit, ästhetische Erfahrungen an einem äußerst intimen Sujet zu machen. Zugleich gewährt der angrenzende Wohnraum Einblicke in die Lebensweise des Künstlers Carsten Uhlig, dem Gründer der ZustandsZone. Aus der öffentlichen Welt führt der Weg in ein flurartig abgegrenztes Areal mit Bildwerken und von dort in einen Raum, der Labor, Schutzhöhle und Arbeitsstätte in einem ist – die Grenzen zwischen den Räumen der Öffentlichkeit, der Kunst und des Privaten können als fließend erlebt werden. Und nicht zuletzt erhält die Redewendung „Komm in die Falle“ mit dieser Ausstellung an diesem Ort eine anschauliche Realität, welche die an der ZustandsZone vorbeischlendernden Passanten unmittelbar anspricht, denn: Jeder kennt es, die meisten mögen es und keiner will es missen: das Bett – die Mitte zahlloser Welten. (Vilém Flusser)

Uwe Heckmann
Hamburg, im März 2015